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AutorenbildStefan Bremler

Am Brunnen vor dem Tore

„Tage der offenen Tür“ beim Brunnenhäuschen in der Gaustraße ermöglichen unverhoffte Blicke in die Selzer Vergangenheit und bringen Licht ins Dunkel.



Der sinnvolle „Effekt der Gewöhnung“ sorgt dafür, dass wir immer wiederkehrende visuelle Reize aus der Wahrnehmung ausblenden. Es sparte Energie und ermöglicht die Konzentration auf andere optische Reize. Wer immer die gleiche Strecke mit dem Auto fährt, kennt das Phänomen. Man kommt am Ziel an, weiß aber eigentlich gar nicht so richtig, wie man dorthin gekommen ist. Aber zur Beruhigung: Wäre unterwegs etwas anders gewesen, hätten wir es sehr wahrscheinlich registriert.



Am Straßenrand links liegen gelassen


Tausendfach sind wir in den vergangen Jahren von Mommenheim kommend auf der Gaustraße an einem kleinen steinernen Rätsel vorbeigefahren ... und selten haben wir es wahrgenommen. Oder wir haben es Richtung Mommenheim im wahrsten Sinne des Wortes „links liegen lassen“.


Aber Mitte November 2022 war etwas „ungewöhnlich und besonders“ und lenkte den Blick für viele erstmals seit langem wieder auf die seltsame Konstruktion am Straßenrand. Ein „Fehlen“ hatte die Routine gestört. In der Tür ins vermeintliche Nichts fehlten Steine und an deren Stelle gähnte ein dunkles Loch.




Eigentlich scheint es so, als müsse durch die Öffnung die Natur hinter der Mauer zu sehen sein. Stattdessen ist ein kleines abfallendes Gewölbe sichtbar.


Ein Neugieriger oder mehrere Wissensdurstige hatten Backsteine aus dem zugemauerten Türsturz geschlagen und somit ungewollt für eine kurze Zeitspanne und für Alle einen Blick in die Selzer Vergangenheit ermöglicht.


Ein Brunnenhäuschen gegen den Wassermangel


Bei der steinernen Nachlassenschaft unserer Vorfahren handelt es sich um ein nur zum kleinen Teil sichtbaren Brunnenhäuschen. Wie bereits in dem Beitrag „Mit Wasser über'n Berg“ geschildert, war die Anlage Teil einer ersten Wasserversorgung für Selzen.


Ohne die im Rathaus in der Kaiserstraße aufbewahrten Gemeinderatsprotokolle eingesehen und transkribiert zu haben können wir derzeit davon ausgehen, dass die Selzer Gemeindevertretung unter dem Bürgermeister Balthasar Binzel III. am 18.03.1863 den Bau eben jener Wasserleitung beschloss.


Die Funktionsweise war folgende: Das höhergelegene Brunnenhäuschen in der Gaustraße fing Grund- und Quellwasser auf. In dem Wasserbecken in der Brunnenstube konnten sich im Wasser mitgeführte Feststoffe wie Dreck und Schlamm, durch die das Wasser verschmutzt war, absetzen. Das Dach des Brunnenhaus verhinderte gleichzeitig, dass Oberflächenwasser, welches Schadstoffe enthalten konnte, in den Brunnen floss.


Über ein Wasserrohr lief dann das auf natürlich Art gereinigte Wasser unterirdisch den Hang hinab ins Dorf. Einem älteren Bürger zufolge, soll es unterwegs noch einen Verteiler gegeben haben, der das Wasser an zwei Zielpunkte lenkte. Einer davon war die zentral gelegene und öffentliche Wasserentnahmestelle an der Gaustraße / Ecke Tränkgasse. Im dörflichen Sprachgebrauch der „Platz an der Gussebump“ genannt.


Irgendwann wurde die Wasserleitung dann nicht mehr benötigt und bei Straßenbauarbeiten unterbrochen. Die heutige Gussebump hat keine Funktion und ist lediglich „Dekoration“ und Erinnerung an die alte Wasserentnahmestelle. Das Brunnenhaus blieb erhalten, wurde verschlossen und zugemauert.


Ein weiterer - allerdings weniger sichtbarer - Brunnen befindet sich in der Verlängerung zur Dorfgrabenstraße. Er versorgte wohl einst eine Wasserstelle an der Ecke Oppenheimer Straße / Kirchstraße.


Das Brunnenhäuschen in der Gaustraße war nur für wenige Tage offen. Hier einige Bilder für diejenigen, die es nicht geschafft haben einen Blick hineinzuwerfen.

Und damit brauchen es Neugierige auch nicht mehr zu öffnen. Den die Brunnenstube kann ohne Treppen zur tödlichen Falle für Tiere und Kinder werden.


Übrigens: Ein kleines Rinnsal Wasser speiste am Tag der Besichtigung noch immer den Brunnen und floss über einen Ausgang in dem zugeschwemmten Brunnenbecken ab. Den Weg zur seiner "Gussebump" wird das Wasser aber nicht mehr finden. Schade eigentlich.


Die Öffnung ist nun wieder verschlossen. Vielleicht schauen wir in weiteren 50 Jahren mal wieder rein.


Die Frage ist nur, ob uns der oberirdische Brunneneingang noch so lange erhalten bleibt. Der nicht förderliche Putz müsste dringend entfernt werden. Die Bruchsteine lösen sich und müssten neu verfugt werden. Die wohl nachträglich angebrachte Betonhaube über dem abfallenden Gewölbe ist undicht. Das Entfernen des Graffiti und eine schöne Holztür würden aus dem Brunnen ein Highlight machen, an dem man dann zukünftig nicht mehr gedankenverloren vorbeifährt.


Zu guter Letzt:

Danke an Thomas Jung für den Hinweis auf das neuerliche Verschließen des Brunnenhäuschen, die gemeinsame Besichtigung und Ergänzungen meiner Fotografien.

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1 comentário


b-naumann
06 de dez. de 2022

Wieder was gelernt!

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