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AutorenbildStefan Bremler

Zerstörung und Befreiung. Kriegsende in Selzen und Hahnheim

März 1945: Selzen und Hahnheim zwischen Kriegsmüdigkeit und Endsiegträume. Eine Chronologie der tragischen letzten Kriegstage.


Teil 2: Zerstörung und Befreiung!

Ein Dorf in "Geiselhaft" erlebt im "Hahnheimer Kessel" das Grauen des Krieges.



Nach den Geschehnissen am 20. März ...


siehe -


... ist die Lage in Hahnheim und Selzen sehr unübersichtlich. Die eingeschlossenen deutschen Soldaten versuchen um Mitternacht den Ausbruch aus dem "Hahnheimer Kessel". Sie haben den Glauben nicht aufgegeben, noch das rechte Rheinufer erreichen zu können. Es ist eine vergebliche Hoffnung. Der bereits genehmigt Artilleriebeschuss von Hahnheim ist zwar noch ausgesetzt, die amerikanischen Streitkräfte sind aber entschlossen, die Deutschen für die sinnlos verweigerte Kapitulation und Nichtherausgabe der amerikanischen Gefangenen büßen zu lassen.



 

Mittwoch, 21. März 1945



00:20 Uhr


Meldung vom Nachrichtenoffizier der Aufklärungseinheit der 90. Division:

Die Ereignisse in dem Ort Selzen: Wir haben nun sieben Gefangene und einen Major eingebracht. Sie stammen von der 9. Flakdivision. Die Sache ist nun ruhig und entwickelt sich sehr gut.
Wir befinden uns in dem Ort Selzen, aber die Deutschen dringen noch in den Ort ein. Die F-Kompanie des 2. Bataillons der 357. ist in dem Ort Selzen, gefolgt von der G-Kompanie. Die E-Kompanie rückt in den Ort Köngernheim ein.

Der Artillerie bleibt es noch untersagt, in den Ort Hahnheim zu schießen.


Gegen 02:00 Uhr


Die Lage in Selzen hat sich beruhigt. Inzwischen decken die Geschütze der Division und die Haubitzen des 8. Corps Hahnheim mit starkem Sperrfeuer ein. Hahnheim brennt.

 

„In dieser Nacht war in Hahnheim die Hölle los, es kam immer wieder ein Mann in den Keller und berichtete, was draußen geschah. In der Nacht vom 20. auf den 21. März hieß es plötzlich „Raus aus dem Keller“, denn die Scheune hatte einen Volltreffer abbekommen und die Scheune nebenan brannte lichterloh. Wir rannten nach draußen in Richtung Wahlheimer Hof, im Dorf gab es immer wieder Explosionen.“ (Adolf Breyer, Hahnheim)

„Gegen 2 Uhr morgens erlischt der Widerstand der deutschen Flak-Einheit. Die Soldaten sprengen Waffen, zünden Fahrzeuge und Gerät an, wobei noch einmal beträchtlicher Schaden entsteht. Sie besorgen sich zum Teil Zivilkleidung und setzen sich ab; zum Teil erwartet man die Ankunft der Amerikaner, um in Gefangenschaft zu gehen.“ (Walter Kissel, Hahnheim)

Vor der Sprengung der Geschütze, Munitionswagen und Fahrzeuge sollen diese auf Anordnung des Kommanden absichtlich vor den Häusern von Nichtparteimitgliedern abgestellt worden sein.

 

 02:35 Uhr


Meldung der Aufklärungstruppe der 90. Division:

Wir glauben, dass wir die Deutschen vom Befehlsstand der Kampfgruppe „Dye“ vertrieben haben, aber es sind noch immer Deutsche in dem Ort Selzen. Die G-Kompanie ist noch nicht nachgerückt. Die F-Kompanie säubert weiterhin den Ort Selzen. Alles ist ruhig. Das 357. Regiment wünscht Artillerieunterstützung.

 

Die Artillerie feuert noch in den Ort Hahnheim.

"... and late in the evening we gave a severe pounding to a very stubborn and tenacious group of flak guns at Hahnheim. Our fire was directed by our own plane and by a Cavalry observer. When the Krauts ran from their guns our plane directed murderous time fire on them. This fire softened the resistance. Later examination showed that we had done great damage and caused many casualties." ("... am späten Abend versetzten wir einer sehr hartnäckigen und zähen Gruppe von Flakgeschützen bei Hahnheim heftige Schläge. Unser Feuer wurde von unserem eigenen Flugzeug und einem Kavalleriebeobachter geleitet. Als die "Krauts" vor ihren Waffen flohen, richtete unser Flugzeug mörderisches Sperrfeuer auf sie. Dieses Feuer milderte den Widerstand. Eine spätere Untersuchung ergab, dass wir großen Schaden angerichtet und viele Opfer gefordert hatten.“ ) (345th Field Artillery Battailon der 90th Infantry Division)

 

 04:15 Uhr


Fernschreiben durch Aufklärungseinheit der 90. Division:

Alles ist nun ruhig; wir hoffen, der Ort (Hahnheim) ist gesäubert. Wir denken, dass das Artilleriefeuer nun eingestellt werden kann.

 

Der Beschuss von Hahnheim endet gegen 4 Uhr. Etwa 55 Granaten schoß das amerikanische 345th Field Artillery Battailon in den Hahnheimer Verteidigungsring. Die Geschosse aus den Panzern und das Sperrfeuer der Jagdbomber erhöhten die Zerstörungskraft und die Zahl der Toten.

 

 05:00 Uhr


Als die Waffen schweigen verlassen die SS-Soldaten, die aus Bad Kreuznach nach Hahnheim gekommen waren, in zusammengesuchter Zivilkleidung den Ort und versuchen sich zum Rhein durchzuschlagen.

 

 06:15 Uhr


In der Nacht ist auch Major Greiling und sein Stab vom 42. Flakregiment, die sich am Mittag in Nieder-Olm abgesetzt hatten, in Selzen eingetroffen. Nach kurzem Schusswechsel gehen er und seine Männer in Gefangenschaft.


Als ranghöchster Offizier sorgt er dafür, dass die noch in Selzen befindlichen Wehrmachtssoldaten aufgeben und übergibt den Amerikanern das Dorf Selzen.


Fernschreiben von S-2 357. Regiment:

Der deutsche Major hat den Ort Selzen übergeben. Er ist Bataillonskommandeur des 3. Bataillon des 42. Artillerieregiments. Alle seine Geschütze hat er im Raum Nieder-Olm zurückgelassen und sie gesprengt, als die Amerikaner ankamen. Er und zehn Mann setzten sich nach Süden nach Ober-Olm ab und wurden später in Selzen nach kurzem Gefecht gefangen genommen.


 Am frühen Morgen


„Am Morgen des 21. März kommen die ersten Amerikaner nach Hahnheim. Jetzt erst kann man das Ausmaß der Schäden und die Verluste der Zivilbevölkerung überblicken.“  (Walter Kissel, Hahnheim)

Am Ende der Kämpfe liegt Hahnheim zur Hälfte in Trümmern.


Als die F-Kompanie 357 in den frühen Morgenstunden in Hahnheim einmarschiert, ergeben sich die überlebenden deutschen Soldaten. Zehn Männer sind in diesem sinnlosen Gefecht in den Straßen von Hahnheim gefallen. Im Gebiet um Hahnheim und Wahlheimer Hof werden weitere 60 tote Soldaten aufgefunden.


In Hahnheim werden etwa 70 Soldaten, in Selzen 25 Soldaten gefangen genommen. Darunter sind fünf Offiziere, unter anderem Leutnant Essbach, Leutnant Nouvertne und Leutnant Vogel. Die Gefangenen werden in das provisorische Gefangenenlager nach Stadecken gebracht.


Nur wenige Verluste verzeichnen die amerikanischen Truppen.

Die elf Amerikaner, die tags zuvor von den Deutschen als Gefangene genommen wurden, können wieder befreit werden.


 11:45 Uhr


Fernschreiben von S-2 358. Regiment:

Die Ereignisse des Ortes Hahnheim: Wir haben sechs 8,8cm Flakgeschütze in Stellungen, sowie 20 2cm-Einzelgeschütze, 30 Kettenfahrzeuge oder Panzer und 75 bis 100 Gefangene, unter ihnen fünf Offiziere, bei der Einnahme des Ortes eingebracht. Zehn Feinde sind tot und 17 verwundet. Wir nahmen neun Amerikaner des 359. Regiment und zwei Verwundete wieder auf. Die Gefangenen berichten, dass über 200 Mann in dem Ort waren und dass einige von Ihnen vor der Einnahme fliehen konnten.

 

Das 2. Bataillon durchsucht und „bereinigt“ Hahnheim.

 

 13:30 Uhr


Die Rheinfähre „Landskrone“ wird von den deutschen Soldaten versenkt.


 Später Nachmittag


„Wir blieben auf dem Wahlheimer Hof bis zum späten Nachmittag, bis es hieß, dass wir ins Dorf zurückkehren können. Überall im Dorf brannten Häuser, auf den Straßen standen verbrannte Fahrzeuge, es roch nach verbranntem Gummi und überall lag Munition, Granathülsen wie auch tote Tiere – aber wir waren am Leben.“ „Man hörte dann, dass einige Hahnheimer Bürger umgekommen waren und was manche erlebt hatten.“ (Adolf Breyer, Hahnheim)

 

 15:40 Uhr


Fernschreiben von S-2 357. Regiment:

Bericht über die eingebrachten Gefangenen in Hahnheim:
Die Gefangenen der 36. Sturmgeschützeinheit sagten aus, dass sie den Befehl hatten sich nach Dexheim zurückzuziehen, wenn ihre Einheit übrig bleibt. Sie gaben an, dass 30-100 SS-Truppen in diesem Ort angekommen sind, aber in der vergangenen Nacht um 05:00 Uhr weiterzogen, um den Rhein zu überqueren. Sie kamen von Kreuznach.

Die Gefangenen von dem 417. Artilleriebataillon geben an, 200 bis 300 Mann des Bataillons haben sich in Hahnheim aufgehalten. Das Bataillon hatte Kenntnis davon, dass in der letzten Nacht ein amerikanischer Offizier im Ort war und zur Übergabe aufforderte, dies wurde aber abgelehnt. Das Bataillon befahl der Kompanie Stellungswechsel und gab Feuerbefehl. Danach befahl das Bataillon alle Waffen und die 30 Fahrzeuge zu zerstören und in kleine Gruppen zu versuchen, den Rhein zu überqueren nahe dem Ort Nierstein.

„Es wurde dann zur „Säuberung“ im Dorf aufgerufen und wir Buben wagten uns, die Soldaten näher zu betrachten.“ (Adolf Breyer, Hahnheim)

 

 16:00 Uhr


Wettermeldung der 90. Infantry Division:

Klar und kühl.

 

Donnerstag, 22. März 1945



 Am Morgen


Die Front ist weitergezogen, die Kampflinie über Selzen und Hahnheim hinweggefegt. Der Krieg ist für Hahnheim und Selzen vorbei.


In Hahnheim ist das Ausmaß der Schäden jetzt sichtbar.

Von 229 Gebäuden in Hahnheim sind 201 (davon 78 Wohngebäude) zerstört oder beschädigt. In je zu etwa einem Drittel sind es starke, mittlere und leichte Beschädigungen. Sämtliche Schäden an der Bausubstanz werden auf 1,5 Millionen Reichsmark geschätzt.


Zudem gibt es Schäden an geschichtlichen und zum Teil denkmalgeschützten Bauten und Anlagen, wie zum Beispiel am Angelbaum, an der ev. Kirche, den drei Friedhöfen, dem Schloss und dem Kriegerdenkmal von 1870/71.


Die Straßen sind nach dem Bombardement und starken Panzerverkehr in katastrophalem Zustand.


In den Morgenstunden fahren die ersten amerikanischen Panzer, von Hechtsheim und Bretzenheim kommend, in das Stadtgebiet von Mainz ein. Gegenwehr gibt es nicht mehr. Die 90. Infantrie Division schreibt verwundert:

"For the Germans it was a sorry day. Proud Mainz was falling and falling fast in spite of repeated assertions that the city would be defended to the last man and the last round of ammunition." "For the Americans, after the all-out, house-two-house defense of the suburbs, the ease with which Mainz itself was taken was an anti-climax." ("Für die Deutschen war es ein trauriger Tag. Das stolze Mainz fiel, und zwar schnell, trotz wiederholter Beteuerungen, die Stadt werde bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone verteidigt." "Für die Amerikaner war die Leichtigkeit, mit der Mainz selbst eingenommen wurde, nach der umfassenden Verteidigung vor Mainz und in den Vororten, ein Tiefpunkt für die Gegner.")

 Im Laufe des Tages


Die Einwohner von Selzen und Hahnheim müssen die Panzersperren komplett entfernen und die Straßen frei machen. Schier endlose Konvois von Militärfahrzeugen und Panzern rollen in den nächsten Tagen durch die Ortschaften.


Alle Waffen müssen sowohl in Selzen als auch in Hahnheim an einem zentralen Platz abgegeben werden. In Selzen türmen sich die Waffen fast mannshoch im alten Spritzenhaus in der Gaustraße. Die Amerikaner ordnen eine sechswöchige Ausgangssperre an.

 

In Hahnheim haben die Dorfbewohner die tonnenweise herumliegende Munition aller Kaliber einzusammeln und zum Sportplatz hinter dem Rathaus zu bringen. Sie füllen damit über 10 Armeelastwagen.


 22:00 Uhr


In 200 Schlauchbooten setzt die amerikanische Infantrie über den Rhein und erobert auf dem rechten Rheinufer Gelände für einen Brückenkopf.


 

 Freitag, 23. März 1945



Ein Schock für die traumatisierte Bevölkerung von Selzen und Hahnheim. Es sieht so aus, als käme die Front wieder zurück. Amerikanische Einheiten der 90. Infanterie Division durchqueren die rheinhessischen Ortschaften in entgegengesetzter Richtung.


Es ist jedoch kein Rückzug sondern die Vorbereitung auf den Rheinübergang. In einem großen Radius rund um Nierstein versammeln sich die Einheiten und warten auf ihren Befehl zur Rheinüberquerung.


Dort ist inzwischen trotz deutscher Artillerie- und Fliegerangriffe die erste Treadway-Brücke errichtet worden.


 

Samstag, 24. März 1945



 09:30 Uhr


Am zugewiesenen Sammelplatz in Selzen treffen das 3. Battalion der 358. Infantrie Division, die Panzerabwehrkompanie, die Servicekompanie und das 344. Feldartilleriebataillon ein. Zuvor hatten sie Ober-Olm, Nieder-Olm, Sörgenloch und Hahnheim passiert.


 14:00 Uhr


Vor dem Aufbruch findet in der evangelischen Kirche Selzen ein Gottesdienst statt. Die Soldaten beten für eine möglichst reibungslose Rheinüberquerung.

 

 14:45 Uhr


Die Fahrzeuge und die Fußsoldaten brechen in Richtung Nierstein auf. Dort und in Oppenheim sind inzwischen zwei weitere Brücken, eine Treadway- und eine schwere Pontonbrücke, fertiggestellt worden.

 

 16:00 Uhr


Der motorisierte Teil des Bataillons erreicht Leeheim auf der rechten Rheinseite. Ein Fahrzeug braucht mit der Geschwindigkeit von 24 km/h etwa 2 Minuten und 20 Sekunden um die Behelfsbrücke zu passieren.

 

 19:25Uhr


Die Fußtruppen erreichen ebenfalls Leeheim.

“The walk to-day was hot and dusty. All men had sore feet especially those still wearing shoe-pacs. The hike was about 10 miles.“ („Der Marsch heute war heiß und staubig. Alle Männer hatten wunde Füße, besonders diejenigen, die noch Winterschuhe trugen. Die Wanderung war etwa 16 km lang.“)

 

Das in Selzen aufgebrochene 3. Bataillon ist Teil der Operation “Silent Crossing”. Bei diesem überraschenden, schnellen und spektakulären Rheinübergang der 3. US Army überqueren zwischen dem 24. März und dem 31. März 1945 etwa 60.000 Fahrzeuge den Rhein auf den errichteten drei Rheinbrücken. Die Rheinüberquerung beschleunigt den Vormarsch der US-Truppen enorm. Sie gilt als eine der unblutigsten und geräuschärmsten Flussübergänge in der Militärgeschichte.



 Stunde 00:00


Auf der linken Rheinseite bleibt ein geschlagenes, erobertes ... aber auch befreites Rheinhessen zurück. Hier hat die "Stunde Null" begonnen.


 

Prolog


 1950


Die Wohnungsnot in Hahnheim sollte, auch verschärft durch die Anwesenheit über 150 evakuierten Personen aus Mainz und Vertriebene und Flüchtlinge, das Dorfleben auch nach dem Krieg noch über viele Jahre hinweg prägen.


Ein Zeitungsartikel der Allgemeinen Zeitung schildert am 1. Dezember 1950 die immer noch vorhandene Wohnungsnot und sichtbare Zerstörung in Hahnheim.


 1953


Auch ein stark vergrößerter Ausschnitt einer Luftbildaufnahme der Royal Air Force vom 15. März 1953, 08:00 Uhr, zeigt noch immer starke Beschädigungen und abgedeckte Häuser und Scheunen in Hahnheim.


 


Quellen:

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