Ein kleines Weindorf in Rheinhessen und ein berühmtes Mainzer Denkmal: Nachweis einer eher unbekannten Verbindung.
Ganz klar – eine offensichtlich reißerische Überschrift ohne Substanz, die einfach nur neugierig machen soll. Oder? Aber wenn nicht, welche Verbindung - bitte schön - kann es denn zwischen dem Mainzer Gutenberg-Denkmal und Selzen geben?
Aber es wird noch doller. Tatsächlich hätte der Titel sogar um das Schloss Hohenschwangau ergänzt werden können. Er wäre nicht weniger richtig gewesen ... aber halt etwas zu lang.
Bild 1: Gutenberg-Denkmal; Bild von I. Staudacher in Wikipedia (CC-BY-SA-2.0-DE)
Bild 2: Schloss Hohenschwangau; Bild (Auszug) von Wikipedia-Nutzer "lwtt93" (CC-BY-2.0)
Bild 3: Ortseingangsstein Selzen; Bild von Stefan Bremler
Über keine tausend Ecken
Viele erinnern sich bestimmt noch an das soziale Netzwerk „Wer-kennt-wen“, dass in Deutschland von 2009 bis 2014 sehr beliebt war und von Facebook geschluckt wurde.
Bei dieser Plattform konnte man eine Person suchen. Als Ergebnis wurde dann aufgelistet, über wie viele Ecken eine Verbindung zwischen mir und eben jener Person besteht. In der Praxis kannte man immer jemand, der jemand kannte, der jemand kannte, der jemand kannte, der jemand kannte, der jemand kannte, der dann mit der gesuchten Person bekannt war. Es war schon faszinierend ... half einem im wirklichen Leben aber auch nicht unbedingt weiter.
Und wer jetzt denkt, so ähnlich und weit verzweigt müsste auch die Verbindung zwischen Mainzer Denkmal, Schwangauer Schloß und Selzer Boden hergestellt werden, der irrt gewaltig. Tatsächlich gibt es eine direkte Verbindung zwischen diesen drei Orten.
Eine Mainzer Künstlerfamilie
Das verbindende Element sind zwei Brüder, in deren Lebens- und Schaffensweg sowohl das Denkmal des großen Mainzers, das Kindheitsschloss des berühmten Märchenkönigs Ludwig II. als auch das kleine Dorf in Rheinhessen eine entscheidende Rolle spielten. Alle drei waren bedeutende und aufeinander aufbauende Stationen in ihrer persönlichen Entwicklung.
Die Rede ist von Ludwig Lindenschmit (der Ältere), dem späteren Gründer und Leiter des Römisch-Germanische-Zentral-Museum in Mainz (Bild 1), und seinem Bruder Wilhelm Lindenschmit (der Ältere), einem bedeutenden Maler (Bild 2)
Es ist tatsächlich nicht übertrieben, wenn man behauptet, dass die beiden Lindenschmit-Brüder das Dorf Selzen für einen Wimpernschlag der Zeitgeschichte so bekannt machten, dass es mit dem Ruf des Gutenberg-Denkmals hätte locker konkurrieren können.
Von Gutenberg über das Schloss nach Selzen
Hier, kurz und knapp, ihre Biographien und die erwähnten drei Stationen:
1806:
Wilhelm Lindenschmit kommt am 09. März in Mainz zur Welt.
1809:
Ludwig Lindenschmit wird am 04. September in Mainz geboren.
1823 - 1829:
Gemeinsame Ausbildung an der Akademie der Künste in Wien und München. Beide spezialisieren sich in "Historienmalerei" und interessieren sich stark für die deutsche Geschichte.
1830:
Wilhelm heiratet und bleibt in München, Ludwig kehrt nach Mainz zurück.
1831: Das Gutenberg-Denkmal in Mainz
Ludwig Lindenschmit wird von einer Kommission, die die Errichtung eines Gutenberg-Monument zum Ziel hat, gebeten, für den bekannten Bildhauer Bertel Thorvaldsen eine Zeichnung vom Aussehen Gutenbergs und der typischen Tracht jener Zeit anzufertigen.²
Ludwig Lindenschmit wird später dazu sagen:
"Wenn ich gewußt hätte, das Thorvaldsen meinen Entwurf ohne weiteres adoptieren würde, hätte ich mich wohl bemüht, ihn lebendiger zu gestalten. Jetzt ärgere ich mich, so oft ich vorübergehe, über den langweiligen Mann, der auf dem Postamente steht." ¹
Das erste Bild zeigt eine erhaltene Skizze von Ludwig Lindenschmit für das Gutenberg-Denkmal aus dem Jahr 1832.¹ Es ist nicht ausgeschlossen, dass die an Bertel Thorvaldson verschickte und verschollene Skizze der fertiggestellten Statue (Bild 2) von 1837 sogar noch näher kommt.
1835: Das Schloss Hohenschwangau bei Füssen
Wilhelm Lindenschmit erhält vom Kronprinz Maximilian von Bayern den Auftrag im Schloss Hohenschwangau vier Gemächer mit monumentale Fresken zur Geschichte Bayerns auszuschmücken. Zur Unterstützung lässt er seinen Bruder Ludwig aus Mainz nach Füssen kommen. ²
1841:
Ludwig wird Mitgründer des Mainzer "Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Altertümer" und Konservator des Vereins.
1845/46: Das Dorf Selzen in Rheinhessen
Ludwig wird nach Auffindung des "Germanischen Totenfeldes" bei Selzen mit der Leitung der Ausgrabungen beauftragt. Historische und archäologische Interessen verbanden die Brüder im Besonderen und daher reist diesmal Wilhelm zu seinem Bruder und unterstützt ihn bei der Ausgrabungen in Selzen. ²
Ihr gemeinsames Buch von 1847 "Das germanische Todtenlager bei Selzen" wird für Wilhelm zum Vermächtnis. Er stirbt im selben Jahr im Alter von nur 42 Jahren. ¹
Diese Publikation, zu denen Wilhelm Lindenschmit 16 Aquarelle anfertigt, setzt zu jener Zeit Maßstäbe für die zukünftige archäologische Forschung. Die farbigen Darstellungen der Selzer Gräber haben - eigentlich bis heute - die Vorstellung von einem frühmittelalterlichen Reihengrab geprägt. Denn in zahllosen Veröffentlichen des In- und Auslands wurden sie mit Hinweis auf Selzen verwendet. Alle bildhaften Grabungsprotokolle mussten sich danach an den mustergültigen Darstellungen aus Selzen messen lassen.¹
Bilder: Aquarelle der Grabungsfunde in Selzen von Wilhelm Lindenschmit, 1846 ³
1852:
Ludwig Lindenschmit wird Konservator und Leiter des neu gegründeten Römisch-Germanischen Zentralmuseums.
1893:
Ludwig Lindenschmit stirbt am 14. Februar als vielfach ausgezeichneter und gewürdigter Gelehrter in Mainz.
Fünf Straßen für zwei Brüder
Diese drei sehr wichtigen Stationen der Lindenschmit's lassen sich auch gut im Straßenatlas Deutschlands nachlesen. Den Lindenschmit-Brüdern wurden in Deutschland insgesamt fünf Straßen gewidmet. So in Mainz (zwei Straßen), in München, in Waakirchen am Tegernsee und ... natürlich ... in Selzen.
Wer also jetzt diesen Text gelesen hat und beim Anblick des Gutenberg-Denkmals in Mainz und beim Besuch des Schlosses Hohenschwangau nicht auch ein wenig an das kleine beschauliche Selzen denkt, ... der ist selber schuld.
Quellen:
¹ Vgl. Frey, Annette (Hrsg.): Ludwig Lindenschmit d. Ä.. Begleitbuch zur Ausstellung aus Anlass seines 200. Geburtstages, Mainz, 2009. Seite 29, 30 und 60, 61.
² Vgl. Mittelrheinisches Landesmuseum Mainz (Hrsg.): Die Künstlerfamilien Lindenschmit aus Mainz. Gemälde, Graphiken, Dokumente, Mainz, 1983. Seite 17-20.
³ Vgl. W. und L. Lindenschmit: Das Germanische Todtenlager bei Selzen in der Provinz Rheinhessen. Mainz, 1848.
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