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AutorenbildStefan Bremler

Übergabe und Widerstand. Kriegsende in Selzen und Hahnheim

Aktualisiert: 23. Juni

März 1945: Selzen und Hahnheim zwischen Kriegsmüdigkeit und Endsiegträume. Eine Chronologie der tragischen letzten Kriegstage.


Teil 1: Übergabe und Widerstand

Zufall, Fehler und blinder Gehorsam – Eine Katastrophe bahnt sich an.



 Prolog


Nur etwa 5 Tage brauchten im März 1945 die amerikanischen Truppen zur Eroberung von Rheinhessen.

Eher selten kam es bei dem schnellen Vormarsch der Alliierten zu größeren Gefechten. In diesem Zusammenhang hören wir dann oft von Hahnheim, als einen jener Orte, in welchem sinnloser Widerstand geleistet wurde. Zerstörung und Tod brachte eine zufällig dort angekommene und eingekesselte deutsche Artillerie-Einheit, weil sie sich nicht ergeben wollte.

 

In mehreren regionalen Veröffentlichungen schildern Augenzeugen und Historiker den Verlauf des Kampfes. Dabei kommt es auch zu widersprüchlichen Erinnerungen an den „Hahnheimer Kessel“. Dies und vor allem die Frage nach der Rolle von Selzen im Kampf um Hahnheim (wirklich keine besonderen Vorkommnisse in Selzen?) haben mich dazu bewogen, den Verlauf der letzten Kriegstage für Selzen und Hahnheim chronologisch aufzuarbeiten.


Die Sicht der amerikanischen Streitkräfte auf diese Tage bilden hierbei das Gerüst für diesen Beitrag. Kriegstagebücher, Funksprüche und Fernschreiben ermöglichen – zusammen mit den deutschen Berichten – eine neue, detaillierte und aufschlussreiche Chronologie der Ereignisse.  

 

Natürlich kann es trotz der zusätzlichen Informationen nur eine Annäherung an die tatsächlichen Ereignisse sein.

So steht ggf. eine aus Schuld und Scham gespeisten Entlastungserinnerung der Deutschen eine - durch die vielen Siege und den schnellen Vormarsch – übertrieben heroischen Kriegsberichterstattung der US-Army gegenüber. Hinzu kommt das allgemeine Chaos dieser Kriegstage.

 

Das Ergebnis ist nur eine kleine Anekdote im großen Krieg. Aber sie kann exemplarisch für die letzten Kriegstage gesehen werden. Es zeigt die Menschen als Spielball zwischen Flucht und Verantwortungsbewusstsein, zwischen Angst und Hoffnung, zwischen Aufgabe und Endsiegwahn, zwischen Schonung und Zerstörung und zwischen Entscheidung und Zufall.



 

Sonntag, 18. März 1945



Die Amerikanische Einheiten haben im Februar 1945 den Westwall, die Verteidigungslinie entlang der Westgrenze des Deutschen Reiches, durchbrochen und Anfang/Mitte März die Mosel überquert. Die 4. US-Panzerdivision hat bereits südlich von Bad Kreuznach über die Nahe gesetzt. Die 90. Infantry Division – die in wenigen Tagen Selzen und Hahnheim einnehmen wird – steht am Rhein vor Bacharach. lhr Ziel an diesem Tag ist Bingen.


Auf ihrem Rückzug durchqueren versprengte Einheiten der geschlagenen Wehrmacht die rheinhessische Ortschaften. Sie versuchen auf die rechte Rheinseite zu gelangen.


Gegen 04:00 Uhr


In Ingelheim wird auf dem Marktplatz (damals Adolf-Hitler-Platz) Volkssturmführer Hermann Berndes gehängt. Ein Schild bei seinem Leichnam warnt: „So sterben alle, die ihr Vaterland verraten“. Er hatte am Vortag in Erwartung der Amerikaner die Beseitigung der Panzersperre angeordnet.


Im Laufe des Tages


Von Griesheim aus fliegen Jagdgeschwader der Reichsverteidigung Angriffe gegen den amerikanischen Brückenkopf an der Nahe. Oberfeldwebel Paul Weinmann vom Jagdgeschwader 2 gerät mit seiner Focke-Wulf Fw 190 D-9 über Selzen in einen Luftkampf mit drei „Mustang“-Jägern. Er wird abgeschossen und stürzt tödlich getroffen in den Selzer Weinbergen ab.

 

16:00 Uhr


Wettermeldung der 90. Infantry Division:

Bewölkt, kühl.

 

18:00 Uhr


Fernschreiben von 358. Regiment:

Der Ort Bingerbrück ist genommen und die Rheinseite gesäubert. Es gab viel Heckenschützenfeuer, aber der Widerstand war schwach in dem Ort. Drei Gefangene haben wir in dem Ort eingebracht. ...

 

Am späten Abend


Eine aus dem Elsass zurückweichender kampfstarker deutscher Verband kommt wegen Treibstoffmangels in Ebersheim zum Stehen. Notgedrungen will sich die gemischte Flakeinheit dort ­– sollte sich keine Gelegenheit zum Weitermarsch bieten ­– dem Kampf gegen die heranrückenden Amerikanern stellen.

 

Vor Ort ist den Bürgern klar, was ein Gefecht auf Ebersheimer Gebiet für Dorf und Bürger bedeuten würde. Sie versuchen verzweifelt eine Lösung für die sich anbahnende Tragödie zu finden.


 

 Montag, 19. März 1945



 Am frühen Morgen


Bei Bingen geht der 90. Infantry Division der US-Streitkräfte der verschlüsselte Divisionsbefehl Nr. 51 zu. Der neue Auftrag befiehlt die Eroberung von Mainz. Damit verbunden ist der Marsch bis zum Rhein zwischen Worms und Mainz. Auch Selzen und Hahnheim rücken somit in das Blickfeld der Alliierten.

 

 06:00 Uhr


Für den Angriff auf Mainz hat die 90. US-Infantry Division drei Aufklärungs- und Panzerspitzen (Kampfgruppen) gebildet. Bei Bretzenheim, nahe Bad Kreuznach, überqueren diese Vorauseinheiten um 06:00 Uhr die Nahe.

Im schnellen Vormarsch ist ihre Aufgabe in allen Ortschaften den Feind zu lokalisieren, Panzersperren zu beseitigen, kleineren feindlichen Widerstand zu brechen, Gefangene zu machen und zu verhören. Die Informationen werden an die nachfolgenden Truppen gemeldet.

 

Im Norden soll die Kampfgruppe „Kelly“ operieren und Richtung Schwabenheim bis nach Finthen vorstoßen. In die Mitte zieht die Kampfgruppe „Wagnon“. Auf ihrem Weg Richtung Hechtsheim liegen unter anderem Saulheim, Sörgenloch, Zornheim und Nieder-Olm. In den Süden rückt die Kampfgruppe „Dye“ vor. Ihr Ziel sind neben Wörrstadt die Ortschaften um Undenheim, darunter auch Hahnheim und Selzen.

 

 Bis 09:10 Uhr


Die gesamte 90. Division der amerikanischen Streitkräfte hat bei Bretzenheim über die Nahe gesetzt.

 

 Am Vormittag


Viele nationalsozialistischen Bürgermeister in Rheinhessen flüchten spätestens jetzt mit ihren Familien und zahlreichen Parteifreunden vor den heranrückenden Alliierten über den Rhein. Darunter auch die Bürgermeister von Selzen (Jakob Simon) und Hahnheim (Otto Heinz). Die Nationalsozialisten hoffen, dass der Rhein den Vormarsch der Alliierten stoppt. Vor der Abreise werden alle belastenden Unterlagen verbrannt.


Auch die Kinder eines Kinderheims werden vom Hahnheimer Heinrich Binzel mit einem Fuhrwerk nach Nierstein gefahren und von dort mit der Fähre über den Rhein gebracht. Das Kinderheim war 1944 für Kinder ausgebombter Familien im Wahlheimer Hof eingerichtet worden.

 

Nach dem Abzug der fanatischsten Nationalsozialisten werden in vielen Orte, wie zunächst auch in Selzen und Hahnheim, die Panzersperren wieder mühsam geöffnet und weithin sichtbar weiße Fahnen gehisst. Wie die Hinrichtung in Ingelheim gezeigt hat, ein lebensgefährliches Unterfangen. In Hahnheim bringt der Bürger Zenon Bogacz eine weiße Fahne am Angelbaum an.

 

In Ebersheim ergreifen einige Landwirte die Initiative und stellen der am Vortag eingetroffenen deutschen Flakeinheit ihr letztes Benzin zur Verfügung und bitten sie eindringlich weiterzuziehen.


 Im Laufe des Tages


Die Panzer der 4. US-Panzerdivision und die Marschkolonnen der 90. Infantry Division schieben sich durch Rheinhessen. Jagdbomber fliegen ihnen voraus und bereinigen das Aufmarschgebiet.

 

 Gegen 14:00 Uhr


Die den Panzerspitzen nachrückenden US-Einheiten erreichen die Gegend um Partenheim. Das 358. US-Regiment soll nun der Kampfgruppe „Kelly“ mit dem Ziel Ingelheim folgen. Zwischen den Vorauseinheiten „Wagnon“ und „Dye“ soll das 359. Regiment über Sörgenloch und Zornheim Richtung Ebersheim vorrücken. Das 357. Regiment folgt ihnen als Reserve und hat letztlich Worms zum Ziel.

 

 Am Nachmittag


In Hahnheim kommen in einem Kübelwagen ein deutscher SS-Offizier und drei Soldaten in Luftwaffenuniformen an. Wütend veranlasst der Offizier das sofortige Einholen des „Schandtuchs“ (weiße Fahne) und die Schließung der Panzersperre. Er erklärt Hahnheim zur Festung und droht der Bevölkerung:

„Ihr werdet noch euer blaues Wunder erleben“.

 

 16:00 Uhr


Wettermeldung der 90. Infantry Division:

Klar und kühl.

 

 16:40 Uhr


Fernschreiben der 4. Panzer-Division:

Wir stoßen auf heftigen Widerstand in Wörrstadt. Aus Schimsheim erhalten wir direktes Feuer aus dem Südwesten des Ortes.

 

 Am Abend


Die sich zurückziehenden deutschen Truppen sprengen die 5 Jahre alte Rheinbrücke bei Gernsheim, ca. 18 km südlich von Nierstein. Nachdem am 17. März bereits alle Mainzer Brücken von den deutschen Soldaten zerstört wurden, ist der Rheinübergang nur noch über Boote oder mit der Rheinfähre in Nierstein möglich.

 

 In der Nacht


Die deutsche Flakeinheit verlässt Ebersheim. Wegen der alliierten Luftüberlegenheit ist ein Marsch nur bei Dunkelheit möglich. Da die letzte Order den Rückzug nach Dexheim befiehlt, ziehen die deutsche Soldaten mit ihren Flakgeschützen über Zornheim Richtung Hahnheim.


 

 Dienstag, 20. März 1945



 In der Nacht


Die Flakeinheit aus Ebersheim trifft in Hahnheim ein. Unklar ist, warum die Flakeinheit in Hahnheim ihren Rückzug nach Dexheim abbricht. Gründe könnten abermalige Kraftstoffprobleme, die Furcht vor Entdeckung durch Jagdbomber, der überraschend schnelle Vormarsch der Alliierten oder neue Befehle, womöglich von angetroffenen SS-Einheiten, sein.

 

 Am frühen Morgen


In Hahnheim befinden sich nun 200 bis 400 deutsche Soldaten der 35. Batterie der 100. Flakabteilung und der 5. Batterie der 417. Flakabteilung unter Hauptmann Schulz. Zeitweise sind ­– womöglich noch zusätzlich ­– 30 bis 100 Angehörige der Waffen-SS in dem Ort. Die beiden Flakeinheiten besitzen 30 Halbkettenfahrzeuge bzw. Panzer, sechs 8,8-cm-Flakgeschütze, fünf 2-cm-Vierlingflakgeschütze, zehn bis zwanzig 2-cm-Geschütze und unzählige Panzerfäuste.

 

„Die Offiziere richten ihre „Kommandozentrale“ mit Feldküche im Ort ein; Für die Mannschaft wird das Anwesen Dahlem (damals Best) in der Hinteren Landstr. 9 Sammelpunkt. Hahnheim ist zu einer Art Festung erklärt worden. Zunächst muss die einheimische Bevölkerung auf Anordnung des Kommandanten Verpflegung in das Anwesen Best für die Soldaten bringen. Die Einwohner werden daraufhin aufgefordert, ihre Keller aufzusuchen.“ (Walter Kissel, Hahnheim)

 

Der Ort Hahnheim selbst und die ihn umgebenden Erdwälle mit den vielen Hecken bieten für die deutsche Flak eine verhältnismäßig gute Tarnung. Die Wehrmacht baut in ihre Stellungen aus und verteilt ihre Geschütze und Einheiten in Hahnheim, im Wahlheimer Hof und in der nahen Umgebung. Die Fahrzeuge werden in Scheunen und Nebenstraßen versteckt.

 

„... die Angst der Älteren war in den Gesichtern zu sehen. Mit Sack und Pack haben wir uns dann in den Keller von Walter Heinz begeben.“ (Adolf Breyer, Hahnheim)

 07:45 Uhr


Fernschreiben vom 359. Regiment:

Um 7:00 Uhr befindet sich der Gefechtsstand der Kampfgruppe „Wagnon“ in Nieder-Saulheim, die Kampfgruppe „Kelly“ steht in Schwabenheim und die Kampfgruppe „Dye“ in Wörrstadt. ...

 

 Am Vormittag

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Amerikaner in Selzen eintreffen.


Nach der Flucht des Bürgermeisters wird jemand gesucht, der stellvertretend für die Selzer Bürger die Verhandlungen mit den fremden Soldaten führen kann. Die Wahl fällt auf den unbelasteten und gut englisch sprechenden Albert Schätzel.

 

Die Panzersperren in Selzen bleiben geöffnet, die weiße Fahne bleiben gehisst (vermutlich unter anderem am Sporebaum und am Kirchturm der ev. Kirche).

 

In Hechtheim werden an diesem Morgen die drei Bürger Adam Schuch, Karl Hammen und Matthias Adam Meinhard erschossen, weil sie vermeintlich eine weiße Fahne am Schulgebäude angebracht haben.

 

 

 09:40 Uhr


Meldung von der Aufklärungseinheit der 90. Division:

Der zweite Zug ist in Undenheim eingedrungen. Sie erhalten gegnerisches Feuer von einem Artilleriegeschütz aus Position Hahnheim. Unsere Artillerie feuert zurück. Ergebnisse sind noch nicht bekannt.

 

Die Kampfgruppe „Dye“ hat beim Marsch auf Undenheim ein erstes Gefecht mit den deutschen Soldaten in Hahnheim. Die Amerikaner nehmen zunächst an, dass es sich hierbei nur um eine einzelne Flugabwehrstellung handelt, die durch „platziertes Feuer“ zerstört wird.

„The forward observer with Task Force DYE quickly placed counter-battery fire and silenced the enemy guns.” (Task Force "Dye", 90th Infantry Division)

Am Ortsrand von Hahnheim stirbt Paul Schneider durch Jagdbomber-Beschuss.

 

 10:15 Uhr


Festgehaltene mündliche Nachricht:

Das zweite Bataillon der 359. steht in Sörgenloch.

 

In der Umgebung von Nieder Olm treffen die amerikanischen Vorauseinheiten der Kampfgruppe „Wagnon“ auf einen stark verteidigten Stützpunkt. Vor dem Ort schießt deutsche Flak mit 8,8-cm-Geschützen zwei Sherman-Panzer ab. Die Amerikaner ziehen sich zurück und rufen die Jagdbomber der 9. Air Force um Unterstützung. Nach einem heftigen Bombardement durch Jagdbomber und Artillerie auf die Ausfallstraßen sowie Bahnhofsanlagen, setzten sich die Deutschen – nach Sprengung ihrer Geschütze und der meisten Fahrzeuge – in Richtung Ebersheim und Zornheim ab. Major Greiling und sein Stab werden in der Nacht in Selzen eintreffen und die unübersichtliche Lage im Kampf um Hahnheim und Selzen weiter verkomplizieren.

 

In den Kellern von Selzen und Hahnheim hört die Bevölkerung den nahen Kampflärm aus Undenheim und Nieder-Olm. Die Angst wird immer größer. Die Ungewissheit darüber, ob weitere deutsche Truppen anrücken, wo genau sich die amerikanischen Panzer befinden und ob heftige Kämpfe im Ort bevorstehen, nagt an den Nerven.


 Gegen Mittag


„Um die Mittagszeit am 20. März haben sich einige getraut nachzusehen, was in der Zwischenzeit im Dorf passiert war. Überall im Dorf waren Soldaten unterwegs. In der Backhausgasse traf ich Horst und Karlheinz Schwamb, wo seinerseits die Appolonia Dettweiler wohnte (das heutige Haus von Norbert Dettweiler). Auf dem Dach saß ein Soldat mit dem Fernglas und plötzlich rief er dem Soldaten, der an dem Geschütz stand, etwas zu. Dann krachte es auch schon in Richtung Wahlheimer Hof. Meine Vermutung ist, dass die Soldaten damals den amerikanischen Panzer, der lange Zeit zwischen Hahnheim und dem Wahlheimer Hof stand, abgeschossen haben.“ (Adolf Breyer, Hahnheim)

 

Die Kampfgruppe „Wagnon“ stößt im Laufe des Tages durch Sörgenloch und Zornheim nach Ebersheim vor, wo es über Nacht bleiben und auf das 359. Regiment warten will.

 

„Gegen Mittag fallen die ersten Schüsse, als sich von Sörgenloch her die amerikanische Panzerspitze nähert. Einige Kettenfahrzeuge werden getroffen und brennen aus. Bald setzt stärkerer Beschuss des Dorfes ein.“ Walter Kissel, Hahnheim)

 

 15:50 Uhr


Treffen die Amerikaner auf geschlossene Panzersperren und nicht abgebaute Hindernisse bedeutet dies zwangsläufig die Zerstörung eines Teils des Dorfes. Die Panzer fahren durch angrenzende Häuser bzw. schießen sich den Weg frei.


Nachricht von der 773, Sturmgeschützeinheit:

Haben bis Position 671 geklärt und stehen nun vor einer Panzersperre in Köngernheim.

 

In Köngernheim behindert eine rund um die Uhr bewachte Panzersperre den Vormarsch. Drei Schuss aus Panzerfäusten der deutschen Verteidiger verfehlen die zum Stehen gekommenen US-Panzer. Die Jagdpanzer räumen die Sperre mit Feuer. Fünf deutsche Soldaten werden gefangen genommen.

 

 16:00 Uhr


Wettermeldung der 90. Infantry Division:

Teilweise bewölkt und kühl.

 

 16:50 Uhr


359. Regiment meldet (zu Köngernheim):

Sie haben drei Gefangene vom 1. Litauischen Bataillon eingebracht. Sie gehören dem Volkssturm und der Wehrmacht an. Sie sind sehr alt oder sehr jung und tragen keine Wehrmachtsnummern. Sie verließen Idar-Oberstein Freitagnacht und ... wurden ... zusammen mit vier weiteren Soldaten und zwei Offizieren nach Köngernheim befohlen, um den Ort zu verteidigen. Dort hatten aber schon Zivilisten die Panzersperren beseitigt. Sie ordneten sofort an, die Panzersperren wieder zu schließen und jeden Zivilisten zu erschießen, der die Panzersperre wieder beseitigen sollte.

 17:00 Uhr


Die amerikanische Einheit verlegt ohne größere Zwischenfälle von Köngernheim nach Selzen. Ziel ist Mommenheim, wo sie über Nacht bleiben will. Sie hat den Befehl auf diesem Weg Hahnheim anzufahren und einzunehmen. Bei Selzen erhält das Einsatzkommando die Information, dass der Ort Hahnheim vom Feind stark verteidigt wird.

"At Selzen, the task Force received information that the town of Hahnheim was heavily defended by the enemy."

Daraufhin wird der Marsch auf Hahnheim abgebrochen und der Zug in Verteidigungspositionen in Selzen beordert. Alle von Hahnheim ausgehenden Straßen und wahrscheinlichen Fluchtwege können mit Maschinengewehrfeuer bedeckt werden.


Die Bewohner von Hahnheim haben in den Kellern der Häuser Zuflucht gesucht. Im als besonders sicher geltenden Keller der katholischen Kirche befinden sich zu dieser Zeit 24 Personen. Dann durchschlägt ein Sprengkörper die Eingangstür und detoniert im Treppenhaus. Ludwig Dengel, Johanna und Josef Herrmann, Luise Möbus und Heinrich Schwamb sind sofort tot. Der 12jährige Konrad Kappler und die 18jährige Katharina Mossel erliegen einige Stunden später ihren schweren Verletzungen. Weitere Anwesende werden verletzt. Die Herkunft des Sprengsatzes bleibt unklar.

 

 17:45 Uhr


Fernschreiben von S-2 359. Regiment:

... Die I- und K-Kompanie ist in Nieder-Olm und treibt die Deutschen nach Norden und Osten. ... Berichte von Gefangenen: Gefangene stammen vom 417. Artilleriebataillon, der 3. 5. und 6. Batterie. Die 5. Batterie liegt in Stellung bei 3740 Hahnheim. Sie besitzen zehn 20mm-Geschütze. Die 6. Batterie liegt in der Nähe von 4141. Sie hat neun 20mm-Flak und drei Vierling Flakgeschütze. Die 3. Batterie hat vier 8,8cm-Flakgeschütze.

 

Von den gefangenen deutschen Soldaten aus Nieder-Olm gibt es einen ersten, aber noch nicht überprüften, Hinweis auf den Verbleib der 5. Batterie des 417. Artilleriebataillons und die Stärke der Verteidiger in Hahnheim.

 

 18:07 Uhr


Fernschreiben vom Beobachtungsoffizier der Aufklärungseinheit der 90. Division:

Eine Fußpatrouille geht bis an den Ortsrand von Schwabsburg vor, aber sie geht nicht in den Ort. ...

 

Die US-Einheiten wurden gewarnt, der Weg nach Schwabsburg sei stark vermint. Damit bleibt Schwabsburg zunächst unbesetzt. Der einfachste Weg an den Rhein führt für die deutschen Soldaten in Hahnheim über Selzen und Schwabsburg. Dies wird noch eine Rolle spielen.

 

 20:00 Uhr


Das 2. Bataillon („Wagnon“) durchsucht– so wird es zumindest im Fernschreiben um 22:45 Uhr geschildert - auf ihrem Weg von Sörgenloch nach Zornheim die Häuser von Hahnheim. Kann aber nichts verdächtiges feststellen.


Die später angefertigte Aufzeichnung der amerikanischen Streitkräfte stellt zu diesem Umstand selbstkritisch fest:

„At Hahnheim, the previous day's action had flowed around it without anyone being aware the town was a German strong point.” („Die Aktivitäten des Tages rund um Hahnheim enden zunächst, ohne dass jemand ahnt, dass dies eine starke deutsche Verteidigungsstellung ist. “)

Inzwischen stehen amerikanische Einheiten in allen Nachbargemeinden von Hahnheim. In Udenheim, Sörgenloch, Zornheim, Mommenheim, Selzen, Köngernheim und Undenheim. Hahnheim ist eingeschlossen und die Stärke der dort befindlichen deutschen Verteidiger immer noch nicht zur Gänze bekannt.


Dann mehren sich aber die Hinweise und weitere Ereignisse werden bekannt.

  • Zwei Jeeps des 359. Regiment wollten zu ihrer Einheit durch den Ort Hahnheim fahren. Als sie sich dem Dorf nähern, werden sie niedergehalten und ergeben sich.

  • Ein Panzerjäger M10 nahm die falsche Straße von Zornheim und wurde von einem 8,8-cm-Geschütz abgeschossen. Drei Mann der Besatzung fielen und der Vierte ergab sich, als seine Munition verschossen war.

Die Soldaten in Hahnheim haben inzwischen elf Gefangene gemacht. Zwei der Amerikaner sind verwundet.


 20:44 Uhr


Fernschreiben vom Beobachtungsoffizier der Aufklärungseinheit der 90. Division:

Wir erhalten die Nachricht, dass sich 300 bis 400 feindliche Infanterie im Ort Hahnheim und westlich davon festgesetzt haben. Sie besitzen 5 8,8cm-Flakgeschütze, fünf 2cm-Vierlingflakgeschütze und zehn 2cm-Geschütze. Sie kamen von Ebersheim an diesem Morgen und haben sich während des Tages in dem Gebiet eingegraben.

 

Nun ist es Gewissheit. Die Kampftruppe „Dye“ kehrt von Mommenheim nach Selzen zurück, richtet sich dort einen Gefechtsstand ein und will die feindliche Einheit in Hahnheim zur Kapitulation auffordern.

 

Das 2. Bataillon des 357. Regiment bekommt den Befehl zu helfen und den Ort zu nehmen. Es soll aus der Umgebung von Dexheim nach Köngernheim und Selzen verlegt werden.

"The road from there to Selzen was under heavy 20 mm fire from Hahnheim."

Die Straße von Köngernheim nach Selzen liegt inzwischen jedoch unter schwerem Feuer der 2-cm-Kanonen aus Hahnheim.

 

„Auch von Westen und Süden her schlagen Granaten im Dorf ein. Die deutschen Geschütze, Kanonen und Gewehre feuern zurück. Hahnheim wird zum Kriegsschauplatz. Zahlreiche Häuser und Scheunen brennen.“ (Walter Kissel, Hahnheim)

 

 20:44 Uhr



Die Amerikaner verlangen, dass der Selzer Albert Schätzel mit weißer Fahne nach Hahnheim geht und die deutschen Soldaten zur Kapitulation auffordert. Für Albert Schätzel ein gefährliches Unterfangen. Im Rücken die misstrauischen GI’s, vor ihm die deutschen Offiziere, die in ihm einen Vaterlandsverräter sehen könnten.


Fernschreiben vom Beobachtungsoffizier der Aufklärungseinheit der 90. Division:

Die Aufklärungseinheit befahl dem Bürgermeister ihres Gefechtsstandes und schickte ihn nach Hahnheim mit dem Auftrag ihnen mitzuteilen, dass sie sich bis 21:30 Uhr zu ergeben haben, sonst würde der Ort mit Artillerie beschossen. ...

 


Mit einem weißen Bettlaken an einer Bohnenstange geht Albert Schätzel entlang der Bahnhofstraße Richtung Hahnheim. Beim Anwesen Helmerisch wird er von deutschen Soldaten empfangen und zu ihrem Kommandanten gebracht.


„Nachdem er ihm das Ultimatum der Amerikaner unterbreitet hatte, zieht sich der Kommandant mit einigen Offizieren längere Zeit zur Beratung zurück. Als sie zurückkommen, können sie ihm keine klare Entscheidung mitteilen.“ (Walter Kissel, Hahnheim)

 

Inzwischen ist die Unterstützung durch die Reserve, das 2. Bataillon des 357. Regiments, in Köngernheim angekommen. Ihr Befehl lautet die Orte Hahnheim und Selzen, die Hauptquellen des feindlichen Feuers, zu räumen. Noch ist die Gesamtlage unklar und die Standorte aller Einheiten unübersichtlich. Sicherlich versuchen die Amerikaner auch zu klären, wo sich die Gefangenen befinden.

 

 21:00 Uhr


Fernschreiben vom 357. Regiment:

Wir informieren, dass unsere Truppen nun in der Nähe von Hahnheim stehen. Wir haben Funkkontakt mit ihnen. Das Artilleriefeuer auf Hahnheim ist noch nicht angefordert, weil wir noch nicht wissen, wo unsere Truppen stehen. Die 357. will Verbindung mit ihnen aufnehmen.

 

Die Mission von Albert Schätzel scheint dagegen fehlgeschlagen zu sein. Ein Offizier der Deutschen kommt aber mit ihm zurück nach Selzen.

 

 21:30 Uhr


Fernschreiben vom Beobachtungsoffizier der Aufklärungseinheit der 90. Division:

Der Aufklärungstrupp hat nun einen feindlichen Offizier hier und versucht mit ihm ein Abkommen zu treffen. Die Nachricht über das Ergebnis folgt.

 

Nur 5 Minuten später wird schon vermeldet, dass die Deutschen hartnäckig alle Forderungen zur Kapitulation ablehnen und kämpfen wollen. Ein sinnloser Widerstand.

Noch hoffen die Deutschen, sich in der Nacht zum Rhein durchschlagen zu können.


 21:30 Uhr


Fernschreiben vom Beobachtungsoffizier der Aufklärungseinheit der 90. Division:

Der deutsche Offizier lehnt es ab, sich mit seinen Männern zu ergeben. Wir beabsichtigen, ihn solange hier zu behalten, bis die Vorbereitungen abgeschlossen sind für das Artilleriefeuer, um ihn dann zu entlassen.

 

Die Amerikaner fordern nun (allerdings vergebens) um Übergabe der verletzten Kameraden, um sie zu versorgen. Der deutsche Offizier wird mit einem zweiten Ultimatum für die Kapitulation und Übergabe der Gefangenen zurück gesandt.

 

 21:55 Uhr


Fernschreiben vom Beobachtungsoffizier der Aufklärungseinheit der 90. Division:

Sie wollen nun das Artilleriefeuer noch bis 22:30 Uhr aufschieben. Wir haben den deutschen Offizier zurückgesandt, mit dem Ultimatum, die verwundeten Amerikaner aus dem Ort bis 22:30 Uhr uns zu übergeben.

 

Währenddessen wird auf Seiten der US-Streitkräfte weitere Aufklärungsarbeit geleistet.

 

 22:30 Uhr


Fernschreiben vom 359. Regiment:

Erhalten die Nachricht, dass das 2. Bataillon um 20:00 Uhr durch Hahnheim ging. Wir stehen Funkkontakt und werden sofort überprüfen, ob dies richtig ist.

 

 22:45 Uhr


Fernschreiben vom 359. Regiment:

Erhalten Nachricht, dass das 2. Bataillon der 357. nun 700 Yards vor Hahnheim steht.

Die Panzertruppen der 359. gingen heute durch den Ort und durchsuchten jedes Haus, aber sie konnten nichts finden. Sie vermuten, dass es möglich ist, dass die Stelle im Norden der Ort ist, wo sich die Amerikaner heute ergeben haben.

 

Wie konnten die Deutschen Einheiten unentdeckt bleiben? Womöglich eine Falschmeldung oder eine Verwechselung, vielleicht von Hahnheim und Wahlheimer Hof.

 

 23:40 Uhr


Meldung von der Aufklärungseinheit der 90. Division:

Funkspruch von der Patrouille, dass das 2. Bataillon der 357. in Verbindung mit der Kampfgruppe „Spieß“ steht. Erhalten Feuererlaubnis für Nierstein und Schwabsburg. Fragen nach um Feuererlaubnis auf Hahnheim und Wahlheimer Hof.“

Kurz vor Mitternacht erhält die Artillerie der Befehl zum Beschuss von Hahnheim. Eine dramatische Änderung der Situation verzögert allerdings die Ausführung.


Erlaubnis gegeben durch die Kampfgruppe Spieß und das 357. Regiment.

Aufklärungseinheit ruft zurück, dass die Deutschen alle Zivilisten aus Hahnheim treiben und die Truppen sich auf einen Durchbruch vorbereiten. Wir fragen erneut nach Artilleriefeuer.

 

 24:00 Uhr


Tatsächlich schließen deutsche Soldaten um Mitternacht die Panzersperre im Nordwesten von Selzen, dringen in das Dorf ein und bekämpfen den Gefechtsstand der Kampftruppe „Dye“ in Selzen.


100 Mann, bewaffnet mit Panzerfäusten werden dabei von deutschem Flugabwehrfeuer unterstützt. Diese Aktion soll wahrscheinlich vom Abzug aus Hahnheim ablenken. Der Kommandoposten in Selzen wehrt den feindlichen Angriff ab und fordert Artillerieunterstützung an.


Schätzungsweise sechs deutsche Soldaten verlieren dabei ihr Leben und etliche werden verwundet.


Für die meisten deutschen Soldaten aus Hahnheim gibt es kein Entkommen. Das 345. Field Artillery Battalion wird schon bald in den Ort schießen und später vermelden:

"...and late in the evening we gave a severe pounding to a very stubborn and tenacious group of flak guns at Hahnheim."  ("... am späten Abend versetzten wir einer sehr hartnäckigen und zähen Gruppe von Flakgeschützen bei Hahnheim heftige Schläge. ...")

 

Fortsetzung in



 


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