Gedicht von Toni Dawczynski-Binzel.
Geschrieben 1982 zur 1200-Jahrfeier der Gemeinde Selzen.
Du kleines Dorf, nun bist du hochbetagt,
der Zahn der Zeit an vielen Mauern nagt.
1200 Jahre sind's, seit Du bestehst,
gute, auch böse Tage Du erlebst.
12 mal 100 Jahre, für uns sehr viel,
Dich heut' zu feiern, das ist unser Ziel.
Du kleines Dorf, wie lieb ich Dich noch! Verändert hast du Dein Gesicht, jedoch Du bist für mich die Heimat geblieben, wo lebten und leben meine Lieben. 50 Jahr' sind es, seit ich dich kenne, dass ich Dich mein kleines Dörfchen nenne.
Kindheit, Jugend durft' ich hier erleben, Du hast mir Schutz und Obhut gegeben.
Dorfgemeinschaft schrieb man damals sehr groß,
in Scharen zogen wir Kinder stets los,
zum Ballspielen, mit den Stelzen zu laufen,
mal für 5 Pfennige Eis zu kaufen.
Das Dorfbild, das war noch ländlich geprägt,
in ihm geruhsames Leben sich regt. Gänse, Enten, zogen watschelnd zum Bach, die Dorfstraß' war stille, kein Autokrach. Von der Selz klang quakend der Frösche Chor, Meister Storch stelzt' in den Wiesen davor.
Da galt noch das Lied, wie man's einst gekannt:
"Im Märzen der Bauer die Rößlein eingespannt". Mit Peitschenknall, mit Pferd oder Küh',
so fuhr man damals, man rief "hott und hüh!".
Waren die Eisen der Pferde entzwei,
der Hufschmied kam mit dem Hammer herbei.
Wollt' man verreisen, dann fuhr die Bahn,
doch die sah man als großen Fortschritt an.
Sie verband dich schon mit der großen Welt,
den Kontakt zur Umwelt aufrecht erhält.
Sie fuhr noch mit Kohlen, machte viel Ruß,
der Heizer stets tüchtig reinschaufeln muss.
Auf den Bauernhöfen gab es viel Vieh,
in den Ställen muhten Kälber und Küh'.
Stolz zeigten Hennen ihre Küken vor,
passten gut auf, dass sich keines verlor.
Viel' Schwalben nisteten unter dem Dach,
ihr zwitschern machte uns morgens wach.
Die Dreschmaschine ging von Haus zu Haus,
viele Weinbergschützen zogen hinaus,
zu hüten die Trauben vor Starenfraß.
Kam dann der Winter, so wusste man, dass
der Hausmetzger kam, zu schlachten das Schwein,
Schlachtfest war mit Worschtsupp', lecker und fein.
Im Kessel wurden noch Latwerge gekocht,
ich aß sie sehr gern, ich hab' sie gemocht.
Rübensirup im Topf war zu haben,
Backeskartoffeln im Sommer laben,
beim Bäcker gebacken, Dickmilch dazu,
die Küche blieb kalt, die Hausfrau hatt' Ruh'.
Der Sonnabend war Backtag dazumal,
beim Bäcker im Dorf - 's war'n zwei an der Zahl.
'S gab Hefekuchen, von Muttern gemacht,
von uns Kindern gerne dorthin gebracht.
Mit Zeichen versehen, so war garantiert,
daß eine Verwechselung niemals passiert.
An die Kinderschule denke ich gern,
in der Osterstraß' war sie, nicht sehr fern.
Die kleine Dorfschule nahm mich dann auf,
mit Schürzchen und Ranzen ich zu ihr lauf.
Fräulein Grix brachte uns Schönschreiben bei,
das Stöckchen nahm sie zu Hilfe dabei.
Du hast mich als Konfirmandin gesehn,
in die Turnhall' zur Tanzstund' durft ich gehn.
Das Abschlusskleid war wohl fünf Jahre alt,
doch ich fand es schön, mich ließ dies kalt.
Man hat ja damals nichts anderes gehabt,
das Quanteln hat auch nicht immer geklappt.
An Kerb und den Feiertagen im Jahr
ein zünftiges Tanzvergnügen dann war.
Bei den Bällen mussten wir stehen an
drei Solo, um einmal zu tanzen dann.
Herr Reichert, in Hochform, gab dabei acht,
daß keiner von uns 'nen Extratanz macht.
Zur Kerb war es Sitte so allgemein,
ein neues Kleid für die Damen musst' sein.
Damals gab es nicht viel von der Stange,
das Kopfzerbrechen begann schon lange
vor dem Fest, die "Nädern" wurde bestürmt,
Stoffe gekauft und vor ihr aufgetürmt.
Zum Maien wurden die Maibäum' gestellt.
Oh, wie sich die Miene des Mädchens erhellt,
entdeckt sie vor ihrer Tür diesen Baum,
wird sich erfüllen ihr geheimer Traum.
Doch war sie abweisend zu ihrem Galan,
am Morgen man sie Spreu wegfegen sah.
So war es einstmals im Dorf, als ich war jung, sehr lebendig ist die Erinnerung. Kindheit, Schule, Tanzstund' und Liebesschmerz, zum ersten Mal verlor ich hier mein Herz. Sind dahingegangen auch viele Leut', vertraut bist Du mir geblieben bis heut'.
Nun bist du schon so alt, doch ewig jung,
erhältst ja immer wieder neuen Schwung.
Vieles hat sich verändert mit den Jahr'n,
mit Auto und Trecker wird heut' gefahr'n.
Das muss wohl so sein, die Zeit, sie schreitet fort,
macht auch vor Dir nicht halt, Du kleiner Ort.
Ich wünsch' Dir Glück auf Deinem weit'ren Weg, für Dich ich nur die besten Wünsche heg'. Du mögest blühen, wachsen und gedeihen, mögen sich alle Deinem Fortschritt weihen. Damit Du erlebst viele gute Jahr', Du kleines Dorf, in dem ich glücklich war.
Quelle:
Toni Dawczynski-Binzel, Jubiläumsbuch zur 1200-Jahrfeier der Weinbaugemeinde Selzen, 1982, Seite ...
Ich habe Sie gerade in der Landesschau gesehen und finde es sehr interessant, das Sie einen Blog über Ihre Heimatgemeinde ins Leben gerufen haben. Ich stamme nicht aus Selzen, sondern aus Mommenheim und lebe mittlerweile seit 30 Jahrem in einem Vorort von Mainz.
Aber je älter ich werde, umso mehr bin ich an meiner alten Heimat interessiert. Ich werde Ihren Erinnerungen mit viel Interesse verfolgen.