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AutorenbildStefan Bremler

Der Schatz der Selz

Aktualisiert: 18. Feb. 2021

In Selzen wurden 1935 bei Regulierungsarbeiten der Selz keltisch-römische Steindenkmäler gefunden. Dieser Blog-Beitrag zeigt für Selzen erstmals alle Grabsteinfragmente in Wort und Bild und beschreibt kurz einige Hintergründe zum Fund.


 
"Wer in unserem Zeitalter sich nicht selber eine Grabschrift aufsetzt, ehe er stirbt, der wird nicht länger im Gedächtnis leben, als die Glocke läutet und die Witwe weint." (William Shakespeare)
 

Vom Beobachter zum Spender

Zu dem sensationellen Fund von 1935 scheint eigentlich bereits alles gesagt.

Da ist der tolle Erfahrungsbericht von Volker Schätzel (* 30.03.1925; + 11.03.2018), der in Selzen als Zeitzeuge die Entdeckung der keltisch-römischen Grabsteine beobachtete. Der damals 10jährige kam auf dem Nachhauseweg zufällig an der Fundstelle in der Nähe des Bahnhofs Selzen-Hahnheim vorbei und war einer der ersten Bewunderer der Grabsteine. ¹


Jahrzehnte später bewog ihn das Erlebnis dazu, eine Kopie des bedeutendsten Stückes vom Nackenheimer Bildhauer Rainer Knußmann für die Aufstellung in seiner Heimatgemeinde anfertigen zu lassen. ¹


Ergänzt wird der erwähnte Erfahrungsbericht durch den erhellenden und interessanten Vortrag von Frau Dr. Gudula Zeller vom Landesamt für Denkmalpflege in Mainz. Sie hatte bei der Einweihung der Nachbildung am 11. September 2005 das Steindenkmal und die damalige keltisch-römische Siedlungssituation fundiert beschrieben. ¹



Und übrigens ... zu auch sonst sehr vielen interessanten und lesenswerten Beiträgen über die Geschichte unserer Region auf den Seiten der "regionalgeschichte.net".


Dem ist dann auch nichts mehr hinzuzufügen, ... oder? Vielleicht doch. Was genau hat die Selz preisgegeben?


 

Steinerne Zeugen der Selzer Vergangenheit

Zur Finanzierung von Regulierungs-Arbeiten an der Selz erhielt Selzen damals 8.000 Reichsmark Grundförderung und ein verbilligtes Darlehn für 12.000 Reichsmark. ⁸ Im Gegenzug bekam Selzen neues Ackerland, neue Probleme mit der Selz ...

... und einige sehr sehr alte Steine.


Den meisten bekannt ist nur das am besten erhaltene Steindenkmal, welches als Nachbildung an der Kreuzung Gaustraße/Kirschgartenstraße in Selzen steht. Tatsächlich wurden aber insgesamt acht (!) Grabsteinfragmente aus Kalkstein geborgen. Alle aufgefundenen Römersteine werden im Landesmuseum verwahrt, zwei davon sind in der Steinhalle der Öffentlichkeit zugänglich.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Dr. Ellen Riemer vom Landesmuseum in Mainz und bei Jakob Egger, Friederike und Dr. Ortolf Harl, Betreiber der Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern „Ubi erat lupa“, bedanken. Sie haben mir Bilder „unserer“ Steine überlassen, die somit jetzt - womöglich zum ersten Mal - den Selzer komplett gezeigt werden können. Diese Bilder sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht ohne Zustimmung des Rechteinhabers verwendet werden (siehe Quelle-Angaben am Ende).


 
"Quod sumus, hoc eritis. Fuimos quandoque, quod estis." "Was wir sind, werdet ihr sein. Was ihr seid, waren wir einst." (Spruch auf einem römischen Grab)
 

Grabstele einer Familie

(Das Original zu der Kopie in Selzen!)

Claudisch, 54 n. Chr. - 68 n. Chr.; Breite 101 cm, Höhe 169 cm, Tiefe 24 cm

"Ganzfiguren einer Familie: in der Mitte sitzender Mann in halblanger Tunica und Mantel, in der Linken (mit Fingerring) kleiner Hund, in der Rechten Blume (?). Rechts stehende einheimische Frau in Unter- und Obergewand mit Distelfibeln, Mantel, Halsreif mit Zierscheibe, Armreif. In der Linken Rocken und Spindel mit Spinnwirtel. Links stehendes Mädchen in Tunica und Mantel, Halsreif, Attribute in den Händen? Oberer Abschluss vermutlich Muschelnische. Unter dem Relief glatte rahmenlose Fläche ohne Inschrift."


 

Grabrelief einer Familie

Claudisch, 54 n. Chr. - 68 n. Chr.; B 90 cm, H 174 cm, T 35 cm

"Ganzfiguren einer Familie in einer Muschelnische: im Vordergrund zwei sitzende Ganzfiguren, links Mann, rechts Frau. Zwischen ihnen im Hintergrund Mädchen in Tunica und Mantel. Auf den Nebenseiten Podeste mit Attisfiguren, darauf je eine tanzende Mänade, darüber Peltenschild und bogenförmiger Rahmen." ¹⁰


 

Fragment eines Grabreliefs mit sitzender Frau

Claudisch, 54 n. Chr. - 68 n. Chr.; B 32 cm, H 38 cm, T 7 cm

"Fragment einer sitzenden Frau (rechte Hand mit Armreif liegt auf dem rechten Knie mit Mantel und Untergewand)." ¹¹


 

Grabrelief eines Ehepaares

Tiberisch, 14 n. Chr. - 37 n. Chr.; B 70 cm, H 87 cm, T 28 cm

"Unter offenem Giebel Muschelnische, darin stehende Ganzfiguren eines Ehepaares (links Frau im Mantel, in der Rechten Vogel (?). Rechts Mann - Soldat ? - mit Halstuch und Sagum (?), die gesenkte Linke auf einem Schild (?)." ¹²

 

Fragment einer Grabstele

01 n. Chr. - 50 n. Chr.; B 82 cm, H 235 cm, T 36 cm

"In einer oben bogenförmigen Nische stehende Ganzfigur eines Mannes in Mantel (Toga ?) und hohen Schuhen. Rechts weitere Person(en)." ¹³

 

Relieffragment mit Totenmahl

Flavisch, 70 n. Chr. - 96 n. Chr.; B 50 cm, H 30 cm, T 8 cm

"Fragment eines Totenmahlreliefs: Rest einer Kline mit davor stehendem Hund." ¹⁴

 

Fragment der Grabstele der (des) Sutta

Julisch-Claudisch, 30 n. Chr. - 50 n. Chr.; B 61 cm, H 48 cm, T 18 cm

"Eingeschriebener Giebel mit Rosette und Akanthusblättern, Palmetten-Eckakrotere, über den Giebelschrägen Blütenstängel. Schriftfeld gerahmt." ¹⁵

 

Fragment einer Grabstele

Julisch-Claudisch, 30n. Chr. - 50 n. Chr.; B 29 cm, H 41 cm, T 18 cm

"Rest einer Porträtnische mit Büste zwischen Pilastern. Schriftfeld gerahmt."¹⁶

 

Was wäre sonst noch kurz zu der Entdeckung zu ergänzen?


Die Regulierung von 1936

Die Selz-Regulierung war eine Baumaßnahme zur Begradigung und Erhöhung der Fließgeschwindigkeit. Im Landesarchiv Speyer werden etliche Protokolle von regelmäßig durchgeführten Bach-Schauen in Selzen aufbewahrt. Sie zeigen auf, welche Probleme die Selz immer wieder verursachte. ² Der Durchfluss zu gering, das Risiko von Überschwemmungen extrem hoch.


Mit der Regulierung sollten Schäden und Ernteausfälle, die in Selzen immer wieder bei gewöhnlichem Hochwasser und durch den zu hohen Grundwasserstand eintreten, beseitigt werden. Am 11. Juni 1934 wurden dann die Pläne zur Regulierung der Selz in Selzen zur Einsicht offengelegt und am 01. Mai 1936 abschließend genehmigt. Die Firma Schmenger aus Trebur wurde mit den Arbeiten beauftragt. ³


1935 oder 1936?


Es gibt einen auffälligen Widerspruch bei den Jahresangaben. Der Fund wird immer auf das Jahr 1935 datiert. Die Regulierungsarbeiten an der Selz begannen aber erst 1936. Möglich ist, dass der Fund erst 1936 gemacht wurde, Vorarbeiten bereits 1935 begonnen haben oder die Funde – auf Selzer Gemarkung - beim Abschluss des Regulierungsabschnittes Hahnheim zutage traten.


Die Furt nach Hahnheim


Mit den freigelegten Steinen wurde einst in der Nähe des Bahnhofs Selzen/Hahnheim eine Furt im Bachlauf der Selz ausgebaut und befestigt. Eine Furt ist eine Flachstelle in einem Bach- oder Flusslauf, mittels der das Gewässer zu Fuß, zu Pferd oder mit Fahrzeugen durchquert werden kann. ⁴ Somit kann angenommen werden, dass diese künstlich angelegte seichte Stelle lange vor dem Bau der jetzigen Bahnhofstrasse ein Bestandteil einer Wegeverbindung nach Hahnheim war.


Da die Steine als Bachbettauskleidung zweitverwendet waren, ist der ursprüngliche Standort und somit das zugehörige Gräberfeld unbekannt. Sie werden einer Mainzer Bildhauerwerkstatt zugesprochen und in die Mitte des 1. nachchristlichen Jahrhunderts datiert. ⁵


Die "Arbeitsmänner" oder "Arbeitssoldaten"


Die Weimarer Republik führte im Sommer 1931 einen „Freiwilligen Arbeitsdienst“ (FAD) ein, der zum Abbau der hohen, durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Arbeitslosigkeit beitragen sollte. 1935 war die Freiwilligkeit mit dem "Gesetz zum Reichsarbeitsdienst (RAD)" vorbei. Ihrer Dienstpflicht hatten von nun an alle männlichen Jugendlichen nach dem vollendeten 18. Lebensjahr nachzukommen. ⁶


Unter dem Motto "Mit Spaten und Ähre" zogen Arbeitskolonnen von ihren festen Lagern aus durch Deutschland, die - meist nur mit Spaten ausgerüstet - Moore trockenlegten, neues Ackerland kultivierten oder beim Bau des Westwalls mitwirkten. ⁷ Allerdings stand beim RAD von Anfang an der militärische und landwirtschaftliche Zweck der Kriegsvorbereitung im Vordergrund.



In diesem Sinne wurden auch die Arbeiten zur Bach-Regulierung in Selzen als Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung und Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion im entsprechenden Programm aufgenommen.


Die Arbeiten wurden von der Reichsarbeitsdienstgruppe 252 mit Sitz in Worms durchgeführt. Zu ihr gehörten Abteilungen, Arbeitsmänner und Lager zum Beispiel in Eich, Worms oder Osthofen. Selzer, die ihren Reichsarbeitsdienst vor dem Krieg ableisteten, taten dies wohl in der RAD-Abteilung "Dietrich von Bern" in Eich. Welche Abteilung letztlich in Selzen mit der Firma Schmelzer zusammen die Regulierung umsetzte, ist mir leider nicht bekannt.


Zu guter Letzt

Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal wurde der Verlauf der Selz 1935 durch Menschenhand verändert. Ein Glücksfall, dass dadurch die Römersteine gefunden wurden. Geholfen hat die Begradigung aber nicht, bereits in den 60iger Jahren bekam die Selz ein fast ganz neues Bachbett. Dazu bald mehr in einem gesonderten Blog-Beitrag.


 

Quellen:


¹ Vgl. Volker Schätzel und Dr. Gudula Zeller, "Der keltische Römerstein von Selzen", regionalgeschichte.net; https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/selzen/kulturdenkmaeler/roemische-grabsteine/erfahrungbericht-volker-schaetzel.html

² Vgl. Landesarchiv Speyer, Bestand H 53, Akte 14 Bauwesen, 14.06 Bäche, Sachakte 1808 Unterhaltung der Wasserläufe Selzen

³ Vgl. Landesarchiv Speyer, Bestand H 53, Akte 07 Gemeindeangelegenheiten, 07.06 Gemeindeschulden, Sachakte 498 Arbeitsbeschaffung Selzen

⁴ Vgl. Seite „Furt“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 22. August 2020, 05:30 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Furt&oldid=202987879

⁵ Vgl. Stefan Grathoff und Dominik Kasper, "Römische Grabsteine aus Selzen", regionalgeschichte.net; https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/selzen/kulturdenkmaeler/roemische-grabsteine.html

⁶ Vgl. Seite „Reichsarbeitsdienst“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 25. September 2020, 10:12 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reichsarbeitsdienst&oldid=203966190

⁷ Vgl. Arnulf Scriba, "Der Reichsarbeitsdienst (RAD), Deutsches Historisches Museum, Berlin, 2014; https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ns-organisationen/reichsarbeitsdienst-rad.html

Vgl. Landesarchiv Speyer, Bestand H 53, Akte 07 Gemeindeangelegenheiten, 07.06 Gemeindeschulden, Sachakte 498 Arbeitsbeschaffung Selzen

⁹ Vgl. F. und O. Harl, ubi erat lupa (Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern), lupa.at/16486, Fotos: © Mainz - Landesmuseum, Foto: Ortolf Harl, 2016

¹⁰ Vgl. F. und O. Harl, ubi erat lupa (Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern), lupa.at/16487, Fotos: © Mainz - Landesmuseum, Foto: Ortolf Harl, 2016

¹¹ Vgl. F. und O. Harl, ubi erat lupa (Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern), lupa.at/16488, Foto: © Mainz - Landesmuseum, Foto: Ortolf Harl 2016

¹² Vgl. F. und O. Harl, ubi erat lupa (Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern), lupa.at/16493, Foto: © Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz

¹³ Vgl. F. und O. Harl, ubi erat lupa (Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern), lupa.at/19497, Fotos: © Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz, CSIR Deutschland II 6

¹⁴ Vgl. F. und O. Harl, ubi erat lupa (Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern), lupa.at/16505, Foto: © Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz, CSIR Deutschland II 6

¹⁵ Vgl. F. und O. Harl, ubi erat lupa (Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern), lupa.at/16605, Foto: © Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz, CSIR Deutschland II 6

¹⁶ Vgl. F. und O. Harl, ubi erat lupa (Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern), lupa.at/16714, Foto: © Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz, CSIR Deutschland II 6

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